Diasporamitglieder
Die Diasporamitglieder, die manchmal als Auswanderer- oder transnationale Gemeinschaft bezeichnet werden, spielen eine wichtige Rolle bei der Nutzung der Vorteile der Migration für die Entwicklung. Messungen im Zusammenhang mit Diasporagruppen sind herausfordernd, da es keine einheitliche Definition von „Diaspora“ gibt. Daten über den Bestand an Migrantinnen und Migranten können als Stellvertreter für die Bevölkerung einer Diaspora dienen, und Daten zu Geldtransfers von Migranten und Migrantinnen sind ebenfalls eng mit der Untersuchung der Diaspora verknüpft. Seit den 1990er Jahren haben viele Staaten umfangreiche Programme zur Förderung der Beziehungen zu Diasporamitgliedern aufgelegt. Aufgrund unterschiedlicher Definitionen und einer fehlenden zuverlässigen Überwachung und Bewertung ist es jedoch schwierig, diese politischen Maßnahmen vergleichend zu analysieren.
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Definition
Der Begriff „Diaspora“ hat keine feste Definition, und seine Bedeutung hat sich im Laufe der Zeit stark verändert, weshalb Messungen sehr schwierig sind. Die IOM definiert Diaspora als „Migranten oder Nachkommen von Migranten, deren Identität und Zugehörigkeitsgefühl durch ihre Migrationserfahrung und ihren Hintergrund geprägt sind“. (IOM Glossary on Migration, 2019). Während der Begriff ursprünglich für die Zwangsvertreibung bestimmter Völker verwendet wurde, wird „Diaspora“ heute allgemein für diejenigen verwendet, die sich mit einem „Heimatland“ identifizieren, in dem sie jedoch nicht leben. Zu den Definitionen von „Diaspora“ gehören nicht nur Emigrantinnen und Emigranten der ersten Generation, sondern auch im Ausland geborene Kinder dieser Personen, sofern sie eine gewisse Verbindung zum Heimatland ihrer Eltern haben. Diese Verbindungen – ob kulturell, sprachlich, historisch, religiös oder emotional – unterscheiden Diasporagruppen von anderen Gemeinschaften.
Üblicherweise wird die Diaspora durch die meisten, wenn nicht sogar alle der folgenden Merkmale gekennzeichnet:
- Migration, die erzwungen oder freiwillig sein kann, aus einem Herkunftsland auf der Suche nach Arbeit, einem Beruf oder zur Vermeidung von Konflikten oder Verfolgung;
- idealisiertes, kollektives Gedächtnis und/oder Mythos über die angestammte Heimat;
- kontinuierliche Verbindung zu einem Herkunftsland;
- starkes Gruppenbewusstsein, das im Laufe der Zeit erhalten bleibt und
- Gefühl der Verbundenheit mit Mitgliedern der Diaspora in anderen Ländern. (Adaptiert von Cohen, 2008).
Die Begriffe „Brain Drain“, „Brain Gain“, „Brain Bank“ und „Brain Circulation“ werden oft im Zusammenhang mit dem Verständnis und der Untersuchung der Diaspora genannt. Die IOM definiert „Brain Drain“ als die „Abwanderung von ausgebildeten und talentierten Personen aus dem Herkunftsland in ein anderes Land, welche zu einem Rückgang der Fähigkeiten/Ressourcen im Herkunftsland führt“. „Brain Gain“, auch „Reverse Brain Drain“ genannt, bezieht sich auf die Vorteile, die sich aus der Einwanderung von Fachkräften in ein Land ergeben. Es ist seit langem bekannt, dass hoch qualifizierte oder gebildete Personen, die massenhaft auswandern, Probleme für ihr Herkunftsland darstellen können.
In den meisten Fällen kann jedoch das fortgesetzte Engagement der Diasporagruppen in ihren Herkunftsländern eine Lösung für den „Braindrain“ darstellen. Seit Ende der 1990er Jahre haben die positiven Auswirkungen der Emigration zu neuen Begriffen wie „Brain Circulation“ und „Brain Bank“ geführt. Unter „Brain Circulation“ versteht man jene Auswanderer, die neue, für die Entwicklung unschätzbare Fähigkeiten und Kenntnisse in ihr Heimatland transferieren. Auch wenn qualifizierte Auswanderer nicht in ihre Herkunftsländer zurückkehren, bieten sie den zurückbleibenden Fachkräften oft Zugang zu dem wertvollen Wissen, das im Ausland erworben wurde, der so genannten „Brain Bank“. (Kapur, 2001).
Mitglieder der Diaspora können sich direkt oder indirekt für die Entwicklung in ihren Heimatländern engagieren. Tinajero (2013) identifiziert fünf verschiedene Ebenen des Engagements der Diaspora für die Entwicklung, die hier vom geringsten bis zum höchsten Mitwirkungsgrad eingestuft werden:
- Erhalt von Informationen: Mitglieder der Diaspora erhalten passiv Informationen über entwicklungsbezogene Initiativen in ihren Heimatländern.
- Passive Informationsbeschaffung: Mitglieder der Diaspora stellen interessierten Akteuren, oft Regierungen in ihren Heimatländern, Informationen zur Verfügung.
- Beratung: An der Entwicklung beteiligte Akteure, einschließlich Regierungen, konsultieren Mitglieder der Diaspora, um die Informationen dafür zu verwenden, die Politik oder Praxis zu gestalten.
- Zusammenarbeit: Die Mitglieder der Diaspora teilen sich die Verantwortung, entweder indem sie Aufgaben an andere Akteure delegieren oder indem sie Entwicklungsmaßnahmen gemeinsam konzipieren und/oder durchführen.
- Selbstmobilisierung: Mitglieder der Diaspora behalten die volle Verantwortung für Entwicklungsinitiativen.
Agunias und Newland (2013) geben einen hilfreichen Überblick über Länder, die über verschiedene Arten von staatlichen und halbstaatlichen Institutionen der Diaspora verfügen, sowie über Länder, die konsularische Netze unterhalten (siehe Seiten 72 - 90). Die IOM klassifiziert Institutionen der Diaspora anhand ihrer Position innerhalb der Hierarchie der Regierung, da dies oft ihren Einfluss innerhalb und außerhalb der Regierung widerspiegelt:
Aktuelle Trends
Die veränderten Definitionen des Begriffs „Diaspora“ stehen auch im Zusammenhang mit der sogenannten „Diasporawende“ im politischen Diskurs und in der politischen Praxis. Obwohl es seit Anfang des 19. Jahrhunderts diasporabezogene politische Maßnahmen und Institutionen gibt, haben seit den 1990er Jahren immer mehr Regierungen und internationale Organisationen eine Politik umgesetzt, die das Ziel verfolgt, die Bevölkerung der Diaspora in eine Vielzahl von Bereichen einzubeziehen (Gamlen, 2014). Dies ergibt sich aus der zunehmenden Erkenntnis, dass Diasporagemeinschaften eine wichtige Rolle für die Entwicklung spielen und die sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Verflechtungen zwischen ihren Heimat- und Gastländern verbessern können.
Die Outreach-Politik für die Diaspora umfasst nicht nur traditionelle konsularische Dienste für Staatsangehörige im Ausland, sondern auch Programme innerhalb nationaler Ministerien, die sich beispielsweise auf Gesundheit, Soziales, Arbeit, Bildung, Wirtschaft, Kultur oder Religion konzentrieren. Mehrere Länder, darunter die Philippinen, Bangladesch, Kanada und Israel, haben ganze Ministerien, die sich ausschließlich den Beziehungen zur Diaspora widmen.
Während Outreach-Programme für die Diaspora oft das Ziel verfolgen, Geldtransfergelder für die Entwicklung zu verwenden, fördern Regierungen die Verbindungen zunehmend auf andere Weise. Viele Staaten haben es den Mitgliedern der Diaspora erleichtert, die Staatsbürgerschaft zu erhalten oder zugänglich zu machen, oder sie haben neue Formen der Mitgliedschaft entwickelt. (Agunias und Newland, 2012)
So können beispielsweise Personen, die Verbindungen zu ihren Herkunftsländern nachweisen können, in Indien, der Türkei, Kroatien und anderen Staaten Ausweise für ihre ethnische Herkunft beantragen. Einige Staaten, wie z. B. Mexiko, haben auch die Strukturen der Wählervertretungen neu gestaltet, um Staatsangehörige im Ausland stärker einzubeziehen. In Herkunftsstaaten, in denen im Ausland lebende Bürger nicht wählen dürfen, können politische Vereinigungen als alternative Formen der Vertretung entwickelt werden.
Datenquellen
Daten über die Bevölkerung der Diaspora sind schwer zu erheben, da Emigrantinnen und Emigranten nicht automatisch Mitglieder der Diaspora sind und auch Nachkommen von Migrantinnen und Migranten der zweiten und dritten Generation als Teil einer Diasporagruppe angesehen werden können oder sich als Teil einer Diasporagruppe betrachten. Im Allgemeinen gibt es weitaus mehr Informationen über Diasporagruppen als Daten. Informationen unterscheiden sich qualitativ von Daten, wobei Informationen auf einen nicht systematischen Ansatz hindeuten. Derzeit gibt es keine Versuche, die Bevölkerung der Diaspora per se weltweit zu messen, aber die folgenden Datenquellen können als Stellvertreter für die Bevölkerung einer Diaspora dienen, die Verbindungen zu einem bestimmten Herkunftsland unterhält. Es gibt nur wenige Daten über Diasporagruppen, die durch eine gemeinsame Religion oder ethnische Zugehörigkeit verbunden sind.
Daten über den Bestand an Auswanderern sind ein Beispiel für solche Stellvertreter. Viele Länder melden Daten zum Bestand an Organisationen wie die UN DESA, die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) sowie an das Statistische Amt der Europäischen Union (EUROSTAT). Einige Länder mit starker Abwanderung stellen in ihren nationalen Volkszählungen Fragen zur Auswanderung, die unter anderem häufig Fragen zu Auswanderungszielen, demografischen Merkmalen, Bildungsniveau und zu Motiven für die Migration beinhalten. Die Daten über den Bestand an Auswanderern geben jedoch aus den oben genannten Gründen ein unvollständiges Bild der Bevölkerung einer Diaspora wieder, da die globalen Migrationszahlen nicht immer zwischen kurz- und langfristigen Migrantinnen und Migranten unterscheiden.
Daten über diasporabezogene Themen können auch unser Wissen über die Diaspora fördern. „Brain Drain“ und verwandte Konzepte können mithilfe von Daten zum Bildungsniveau von Auswanderern gemessen werden. So misst die OECD beispielsweise das Bildungsniveau von Migrantinnen und Migranten in OECD-Ländern und Nicht-OECD-Zielländern. Ebenso erfassen Daten über Überweisungen von Migrantinnen und Migranten nur eine von vielen Möglichkeiten, wie die Diaspora ihr Heimat- und Aufnahmeland beeinflusst. Aktuelle Daten zu Diaspora-Institutionen - definiert als "formelle staatliche Ämter, die sich mit Fragen zu Auswanderern und ihren Nachkommen im Ausland befassen" - sind in Alan Gamlens Publikation verfügbar.
Darüber hinaus können operative Daten unser Verständnis von Diasporagruppen beeinflussen. So ist beispielsweise das Programm „Migration for Development in Africa“ (MIDA) der IOM ein Programm zum Aufbau von Kapazitäten, das den Transfer von Kompetenzen, Wissen und anderen Ressourcen afrikanischer Auswanderer in ihren Heimatländern fördert. Die Umsetzung der Programme „Return of Qualified Nationals“ (RQN) und „Temporary Return of Qualified Nationals“ (TRQN) durch die IOM hat weltweit zu mehr als 4.000 Arbeitseinsätzen in der Diaspora geführt, in denen die Kompetenzen in Bereichen wie Bildung, Gesundheit und Technologie genutzt wurden. Die IOM hat zudem mehr als 120 Befragungen zur Bewertung von Diasporagemeinschaften durchgeführt, hauptsächlich in OECD-Mitgliedstaaten und europäischen Ländern. Beispiele sind Studien über Diasporagruppen aus Sambia, Angola, Marokko und Moldawien. Daten aus ähnlichen Programmen, wie dem UNDP-Programm „Transfer of Knowledge through Expatriate Nationals“ (TOKTEN), wurden verwendet, um die Wirksamkeit von Beratungs- und Ausbildungsprogrammen der Diaspora in bestimmten Ländern wie Sudan und Syrien zu bewerten.
Back to topStärken und Schwächen der Daten
Es gibt mehr Informationen zu diasporabezogenen Themen als Daten. Die Stärken und Schwächen stellvertretender Datenquellen können auf den Seiten zum Bestand und zu Geldtransfers von Migrantinnen und Migranten betrachtet werden. Studien über die Bevölkerung der Diaspora, die von den Herkunftsländern durchgeführt werden, werden oft durch den personellen und finanziellen Aufwand für die Durchführung großer Erhebungen an weit entfernten Orten begrenzt. Manche Staaten wie Nigeria und St. Vincent und die Grenadinen, verfügen über Datenbanken über die Bevölkerung der Diaspora, die auf freiwilligen Online-Registrierungen basieren, während andere Daten auf der Grundlage von Auswanderungsverzeichnissen erheben. Dies zwingt die Regierungen der Herkunftsländer, sich auf Daten zu verlassen, die von den Zielländern erhoben werden, z. B. über das Geburtsland oder die Abstammung eines Einwohners. Während einige Zielländer, wie z. B. Deutschland, Studien durchgeführt haben, die viele Aspekte der Mitglieder der Diaspora, die innerhalb ihrer Grenzen leben, untersuchen, sind die Daten über die Diaspora bei weitem nicht vollständig.
Derzeit besteht die Forschung an diasporabezogenen Institutionen meist aus länderbezogenen Fallstudien, mit eingeschränkter vergleichender Analyse und noch weniger quantitativer Forschung. Dies bedeutet, dass die Bestimmungsfaktoren, die zur Entwicklung von politischen Diaspora-Outreach-Programmen führen, sowie mögliche bewährte Verfahren für diasporabezogene politische Maßnahmen weiter untersucht werden können.
Das Oxford Diasporas Programme, das 2015 endete, war eine der wenigen vergleichenden Analysen von Diaspora-Outreach-Programmen und umfasste auch mehrere andere Projekte, die die sozialen, wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Auswirkungen der Diaspora auf der ganzen Welt messen.
Wie bereits erwähnt, können Daten über den Bestand an Auswanderern als grober Indikator für die Bevölkerung der Diaspora dienen. Die Daten über Emigrantinnen und Emigranten sind jedoch schwer zu erheben, wie die Tatsache zeigt, dass die Gesamtzahl der weltweit erfassten Einwanderer höher ist als die Zahl der gemeldeten Auswanderer. Im Gegensatz zum Bestand an Einwanderern ist es schwierig, die Zahl der Emigrantinnen und Emigranten durch nationale Volkszählungen zu erfassen. Da viele Länder keine Daten über potenzielle Emigrantinnen und Emigranten erheben, wenn sie die Grenzkontrollen passieren, ist es wahrscheinlich, dass die Daten über den Bestand an Emigrantinnen und Emigranten eher die untere Grenze darstellen. (UNSTATS, 2017)
Ein weiteres Problem ist, dass sich die Forschung zu diasporabezogenen Themen überwiegend auf die Migration von Süden nach Norden konzentriert. Die mangelnde Aufmerksamkeit, die der Migration von Süden nach Süden geschenkt wird, bedeutet, dass sich die Auffassung vom Engagement der Diaspora und vom „Braindrain“ auf hochqualifizierte und gebildete Fachleute aus dem globalen Süden konzentriert, die in die nördliche Hemisphäre abgewandert sind. Dies ist besonders problematisch, wenn man bedenkt, dass die Zahl der internationalen Migrantinnen und Migranten im globalen Süden höher ist als im Norden. Die Vorteile des Engagements der Diaspora werden oft als ein einseitiger Fluss von Vermögenswerten von den entwickelten Ländern im Norden in den weniger entwickelten Süden angesehen, was eindeutig nicht mit der Realität der Migration von Süden nach Süden übereinstimmt. Obwohl viele davon ausgehen, dass das Engagement der Diaspora den Braindrain kompensiert, gibt es nicht genügend Beweise, um festzustellen, ob dies für den globalen Süden zutrifft.
Further reading
Cohen, R. | |
2008 | Global Diasporas: An introduction. Second edition, Routledge, New York. |
Sigona, N., A. Gamlen, G. Liberatore, H. Kringelbach (eds.) | |
2014 | Diasporas Reimagined: Spaces, Practices and Belonging. Oxford Diasporas Programme, Oxford. |
Agunias, D. and K. Newland | |
2012 | Developing a Road Map for Engaging Diasporas in Development: A Handbook for Policymakers and Practitioners in Home and Host Countries. International Organization for Migration, Geneva and Migration Policy Institute, Washington, DC. |
McAuliffe, M. and M. Ruhs (eds) | |
2017 | “Appendix B. Diaspora” in World Migration Report 2018. International Organization for Migration, Geneva. |
Collyer, M. (ed.) | |
2013 |
Emigration Nations: Policies and Ideologies of Emigrant Engagement. Palgrave Macmillan, London. |
Ragazzi, F. | |
2014 | A comparative analysis of diaspora policies. Political Geography, 41:74-89. |
Chikanda, A. and J. Crush | |
2014 | Diasporas of the South. In A New Perspective on Human Mobility in the South (R. Anich, J. Crush, S. Melde, J. Oucho, eds.). International Organization for Migration, Geneva. |
Kapur, D. | |
2001 | Diasporas and technology transfer. Journal of Human Development, 2(2):265-286. |
UN Department of Economic and Social Affairs Statistics Division (UNSTATS) | |
2017 | Chapter VI: The challenges of measuring emigration. In Handbook on Measuring International Migration through Population Censuses. United Nations, New York. |
OECD | |
2015 | Connecting with Emigrants: A Global Profile of Diasporas 2015. OECD Publishing, Paris. |
Oxford Diasporas Programme publications are available online. |
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