Migrationsprognosen
Migrationsprognosen sollen fundierte Schätzungen über zukünftige Migrationsbewegungen und -trends liefern. Dies sind wichtige Informationen für die politischen Entscheidungsträger, um künftige Probleme zu antizipieren und die Politik entsprechend anzupassen, Programme zu entwerfen und Ressourcen zuzuweisen. Der Begriff „Prognose“ wird oft synonym mit „Vorhersage“ oder „Vorausschätzung“ verwendet, trotz leichter Unterschiede in der Bedeutung. Migrationsprognosen können auf verschiedenen und voneinander abweichenden Annahmen beruhen, und die Ergebnisse sind anfällig für große Unsicherheiten und Fehler, da es nicht möglich ist, die Zukunft genau vorherzusagen.
Definition
Migrationsprognosen stellen einen Versuch dar, zukünftige Migrationsbewegungen und -trends mithilfe traditioneller, quantitativer Modellierungstechniken vorherzusagen. Mit diesem Ansatz werden zukünftige Migrationstrends auf der Grundlage quantitativer Daten aus der Vergangenheit statistisch im Modell dargestellt. Diese Art der Modellierung ist möglich, wenn umfangreiche numerische Daten verfügbar sind, z. B. über vergangene Zu- und Abwanderungen, politische Veränderungen sowie verschiedene andere Migrationsfaktoren und -treiber.
Der quantitative Modellierungsansatz berücksichtigt jedoch keine Faktoren, die nicht quantifizierbar und unsicher, für die Migration jedoch relevant sind. Daher existiert ein zweiter Ansatz, der Techniken qualitativer Szenarien verwendet, um zukünftige Migrationsbewegungen und -trends vorherzusagen.
Der Ansatz der qualitativen Szenarien beschreibt zukünftige Migrationsentwicklungen in Form von narrativen Szenarien, die auf einer Vielzahl von Informationen über Migrationsfaktoren und -treiber basieren. Qualitative Techniken, die in solchen Zukunftsstudien verwendet werden, sind weitgehend subjektiv und basieren auf der Meinung und dem Urteil von Experten. Da solche Methoden statistische Informationen über Trends nicht berücksichtigen müssen, können sie angewandt werden, wenn Daten aus der Vergangenheit begrenzt, nicht vergleichbar oder selten sind. Dennoch ist es möglich, qualitative und quantitative Informationen in der Prognose zu kombinieren, z. B. mithilfe von expertenbasierten probabilistischen Methoden, oder – in jüngster Zeit – Bayes'schen statistischen Ansätzen, die kürzlich auf globaler Ebene angewendet wurden.
Aktuelle Trends
Migrationsprognosen unterscheiden sich in ihren Vorhersagen über zukünftige Migrationsströme und -trends. Die Abteilung für Bevölkerungsfragen der Vereinten Nationen prognostiziert einen Rückgang der Nettomigration zwischen 2010 und 2020 und ein konstantes Niveau bis 2050 (UN PD, 2015). Laut UN wird die Nettomigration in einkommensstarken Ländern 82 Prozent des Bevölkerungswachstums ausmachen. In den meisten dieser Länder würde die Zahl der Bevölkerung ohne zukünftige Migration sinken (UN DESA, 2015).
Im Hinblick auf alternative Szenarien für die ganze Welt projizieren die Forscher des Wiener Instituts für Demographie, dass die Gesamtzahl der Migranten in den nächsten 50 Jahren weltweit nahezu konstant bleibt (Sander et al., 2013). Migrationsszenarien, die unter anderem von der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) entwickelt wurden, erwarten, dass die globale Migration aufgrund des Bevölkerungswachstums in Ländern mit niedrigem Einkommen, verbunden mit Engpässen auf dem Arbeitsmarkt und einer alternden Bevölkerung in Ländern mit hohem Einkommen zunimmt oder zumindest konstant bleibt (OECD, 2009).
Datenquellen
Quantitative Migrationsprognosen werden oft von nationalen Statistikbehörden und universitären Forschungseinrichtungen erstellt und konzentrieren sich meist auf eine bestimmte Region oder ein bestimmtes Land. Es gibt einige große Anbieter von Bevölkerungsprognosen auf globaler Ebene, die Prognosen der internationalen Migration beinhalten:
- Die Abteilung für Bevölkerungsfragen innerhalb der Abteilung Wirtschaft und Soziales der Vereinten Nationen (UN DESA) verfügt über die längste Aufzeichnung über Schätzungen und Prognosen der globalen Bevölkerung bis 2100, die auch Annahmen zur internationalen Migration beinhaltet. Seit 1951 hat sie 24 globale Bevölkerungsschätzungen und -prognosen vorgenommen. Die jüngste Version der Reihe der World Population Prospects (WPP) ist bisher die Revision 2019. Die WPP umfassen derzeit 233 Länder und Gebiete und sind damit der Datensatz mit der höchsten geografischen Abdeckung (UN DESA, 2019).
- Das Wittgenstein Centre for Demography and Global Human Capital prognostiziert auf der Grundlage verschiedener Szenarien und Annahmen die Netto-Migrationsraten pro Land bis zum Jahr 2100 (Wittgenstein Centre, 2017).
Andere Datensätze wurden für bestimmte Regionen zur Verfügung gestellt, z. B. ist die von Eurostat erstellte Prognose EUROPOP der Europäischen Union (EU) die neueste Ausgabe für den Zeitraum zwischen 2015 und 2080 (EUROPOP, 2015). Diese Datensätze von Eurostat liefern Informationen auf nationaler Ebene für 29 europäische Länder: für alle 28 Mitgliedstaaten der EU und für Norwegen.
Datenquellen für qualitative Migrationsszenarien sind unter anderem:
- Das Projekt Global Migration Futures (IMI, 2017): In diesem Projekt werden in systematischen Übungen in Kombination mit konventionellen sozialwissenschaftlichen Forschungsmethoden mit internationalen Migrationsexperten und Interessenträgern mögliche zukünftige politische, wirtschaftliche, soziale, technologische und ökologische Veränderungen auf globaler Ebene und deren Folgen für die Migration untersucht.
- Der Bericht The Future of International Migration to OECD Countries (2009): Durch die Analyse verschiedener Pull- und Push-Faktoren und die Konstruktion von fünf verschiedenen Szenarien für die zukünftige Migration untersucht dieser Bericht die wichtigsten Bestimmungsfaktoren für die globalen Migrationsbewegungen.
Neuere Ansätze versuchen, quantitative Prognosen auf der Grundlage numerischer Daten mit Annahmen von Experten zu kombinieren (Sander et al., 2013).
Back to topStärken und Schwächen der Daten
Auf nationaler, regionaler und in geringerem Maße auch auf globaler Ebene stehen verschiedene Migrationsprognosen zur Verfügung. Für die Migrationsprognosen spricht, dass sie eine Möglichkeit bieten, dass die Interessenträger wahrscheinliche zukünftige Entwicklungen systematisch berücksichtigen und sich darauf vorbereiten können.
Allerdings sind Prognosen bekanntlich schwierig und unzuverlässig (IOM, 2016). Es gibt viele Gründe, warum Migrationsprognosen so schwierig sind:
- Fehlende einheitliche Konzepte und Definitionen für Migration: Beispielsweise definieren viele Länder die Migrationsbewegungen unterschiedlich. Grundsätzlich geht es bei der Migration darum, für einen gewissen Zeitraum über eine internationale Grenze zu migrieren, aber die genaue Operationalisierung dieses Konzepts in der Praxis ist unterschiedlich.
- Es gibt viele – und unvorhersehbare – Treiber der Migration: Die Vielfalt der Motive für Migrationsströme und das Entstehen neuer Formen der Migration machen die Prognose schwierig. (IOM GMDAC, 2016).
- Prognosen basieren auf unterschiedlichen, unvollkommenen und interagierenden Annahmen: Migrationsprognosen stützen sich auf Annahmen über die demografische Dynamik, politische, ökologische und sozioökonomische Veränderungen sowie die Migrationspolitik. Die Vielzahl von Push- und Pull-Faktoren (Bestimmungsfaktoren) und Treibern von Mobilität und Immobilität, die alle miteinander interagieren, macht eine umfassende Erklärung von Migrationsprozessen nahezu unmöglich.
Die zugrunde liegenden Daten können unvollständig und unzuverlässig sein: In vielen Entwicklungsländern gibt es fast keine empirischen Erkenntnisse über vergangene und aktuelle Migrationsbewegungen, und für eine Reihe von Industrieländern sind die Daten zudem unvollständig oder unzuverlässig (Büttner und Münz, 2016).
Literaturhinweise
Raymer, J., and F. Wiilekens | |
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2008 | International migration in Europe: Data, models and estimates. John Wiley & Sons. |
Buettner, T., R. Muenz | |
2016 | Comparative Analysis of International Migration in Population Projections. KNOMAD WORKING PAPER 10 |
International Organization of Migration (IOM) | |
2016 | Migration forecasting: Beyond the limits of uncertainty. Global Migration Data Analysis Centre, Data Briefing Series, Issue No. 6 |
Bijak, J. | |
2011 | Forecasting International Migration in Europe: A Bayesian View. Springer |
Sander, N., G. J. Abel, and F. Riosmena | |
2013 | The Future of International Migration: Developing Expert-Based Assumptions for Global Population Projections. Vienna Institute of Demography 7/2013 |
Azose, J. and A. Reftery | |
2015 | Bayesian Probabilistic Projection of International Migration, Demography 52(5): 1627-1650 |