Relevante Migrationsdaten für die COVID-19-Pandemie
Migrantinnen und Migranten – insbesondere in schlechter bezahlten und irregulären Beschäftigungsverhältnissen – sind einerseits möglicherweise von der Ausbreitung von COVID-19 stärker betroffen und gefährdet, aber spielen durch ihre Arbeit in systemrelevanten Berufen auch eine wichtige Rolle bei der Reaktion auf COVID-19. Zum 8. März 2022 machten die Auswanderinnen und Auswanderer aus den 20 Ländern mit der höchsten Anzahl an COVID-19 -Fällen 32 Prozent des Anteils internationaler Migrantinnen und Migranten an der Gesamtbevölkerung aus und sendeten geschätzte 38 Prozent aller Geldtransfers weltweit in ihre Herkunftsländer in 2021 (Analyse des GDMAC auf der Grundlage von UN DESA, 2020; World Bank 2021a; WHO, 2021)1.
Der Anteil der Migrantinnen und Migranten in 12 der 20 Länder mit der höchsten Anzahl von COVID-19-Fällen mindestens 3,7 Prozent der Bevölkerung (Analyse des GDMAC auf der Grundlage von UN DESA, 2020; WHO, 2021). In 9 dieser Länder beträgt dieser Anteil mehr als 7 Prozent (ebd.). Im Vergleich zum weltweiten Anteil internationaler Migrantinnen und Migranten an der Gesamtbevölkerung von 3,6 Prozent sind internationale Migrantinnen und Migranten in diesen Ländern überrepräsentiert.
Auf dieser Seite werden Daten über Migrantinnen und Migranten erläutert, die Aufschluss darüber geben können, wie sie möglicherweise sowohl von den Auswirkungen als auch teilweise von der Reaktion auf COVID-19 betroffen sind. Da sich die Informationen im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie ständig weiterentwickeln, werden die Zahlen und sonstigen Daten regelmäßig aktualisiert. Informationen nach Land oder Region finden Sie hier und unter der Karte mit wichtigen Indikatoren zu Migration und Demografie.
Die wichtigsten Migrationstrends
Nach Themen
Entwicklung der Migrationsströme und der Migrantenbestände
COVID-bedingte Einschränkungen haben Auswirkungen auf die Mobilität von Migranten und Migrantinnen und die Rolle von humanitären Organisationen. Zwischen dem 10. März 2020, einen Tag bevor die WHO COVID-19 zur Pandemie erklärte, und dem 28. Februar 2022 wurden weltweit 122.823 Bewegungseinschränkungen verhängt (IOM, 2021a).Gleichzeitig haben 208 Länder, Territorien oder Gebiete 961 Ausnahmen von diesen Beschränkungen erteilt und damit Mobilität ermöglicht (ebd.). Geht man von einem Stillstand der Migrationszahlen zwischen dem 1. März und dem 1. Juli 2020 aus, so ergibt sich nach Schätzungen ein Rückgang von fast 2 Millionen internationalen Migranten und Migrantinnen gegenüber dem ursprünglich erwarteten Anstieg zwischen Mitte 2019 und Mitte 2020 (UN DESA, 2020).
Im Jahr 2020 werden die dauerhaften Migrationsströme in die OECD-Länder schätzungsweise um mehr als 30 Prozent zurückgegangen sein, was einen historischen Tiefstand seit 2003 konstatiert (OECD, 2021). Von allen Kategorien der dauerhaften Migration in die OECD-Länder zeigen die verfügbaren Daten, dass die Familienmigration im Jahr 2020 mit mehr als 35 % am stärksten zurückging (ebd.).
Ein solcher Rückgang der Migrationsströme aufgrund von COVID-bedingten Beschränkungen kann auch demografische Auswirkungen auf Länder haben, die für ihr Bevölkerungswachstum auf Migrationsbewegungen angewiesen sind. So deuten die nationalen Daten für das Jahr 2020 darauf hin, dass die Bevölkerung Deutschlands aufgrund des Rückgangs der Zuwanderung zum ersten Mal im letzten Jahrzehnt nicht gewachsen ist (Statistisches Bundesamt, 2021a). Ende 2020 war die Gesamtzahl der ausländischen Staatsangehörigen in Deutschland um 1,8 Prozent gestiegen, die niedrigste Rate des letzten Jahrzehnts (Statistisches Bundesamt, 2021b). In Australien hat dieses Verhältnis von einer höheren Ab- als Zuwanderung in den Jahren 2020/2021 zum niedrigsten Bevölkerungswachstum seit mehr als einem Jahrhundert geführt (Australian Centre for Population, 2021).
Auch internationale Studierende sind von den Mobilitätsbeschränkungen betroffen, sowohl in den Herkunfts- als auch in den Zielländern. Die Zahl der von den OECD-Ländern an internationale Studierende erteilten Erstgenehmigungen ging 2020 infolge von COVID-19 deutlich zurück. So haben beispielsweise die USA und Großbritannien - die beliebtesten Zielländer für internationale Studierende - im Jahr 2020 im Vergleich zu 2019 69 % bzw. 40 % weniger Erstgenehmigungen für Studierende ausgestellt (OECD, 2021).
Infektionsgeschehen und Sterberate unter Migrantinnen und Migranten
Geringqualifizierte Wanderarbeiterinnen und -arbeiter in überfüllten Wohnheimen sind unverhältnismäßig stark von der Pandemie betroffen. Beispiele aus Saudi-Arabien und Singapur, wo die Gesundheitsministerien offizielle Daten über den Migrationsstatus von Personen, die positiv getestet wurden, zur Verfügung gestellt haben, zeigen, dass Migrantinnen und Migranten dem Virus in unterschiedlichem Maß ausgesetzt sind. Nach Angaben des saudischen Gesundheitsministeriums betrafen 75 Prozent aller neu bestätigten Fälle zum 7. Mai 2020 Migrantinnen und Migranten. In Singapur betrafen bis zum 19. Juni 2020 über 95 Prozent der bestätigten Fälle Migrantinnen und Migranten, wobei mehr als 93 Prozent aller Fälle mit den Wohnheimen von Migrantinnen und Migranten in Verbindung standen (Gesundheitsministerium von Singapur, 2022). Trotz eines Abwärtstrends in Neuinfektionen machten zum 5. Juli 2021 Bewohnerinnen und Bewohner von Wohnheimen fast 87 Prozent der kumulativen Zahlen an Covid-19-Fällen in Singapur aus. Aufgrund des exponentiellen Anstiegs der COVID-Fälle unter den nicht in Wohnheimen lebenden Personen seit dem dritten Quartal 2021 sank der Anteil der Fälle in Wohnheimen an der Gesamtzahl der Fälle in Singapur jedoch auf 9,1 Prozent (ebd.).
Da internationale Migrantinnen und Migranten eine sehr heterogene Gruppe sind, sind auch die Auswirkungen auf ihre Gesundheit unterschiedlich. Eine schnelle systematische Überprüfung von Veröffentlichungen ergab, dass die Inzidenzrate bei Migranten und Zwangsvertriebenen durchweg höher zu sein scheint als bei Nichtmigrantengruppen (Hintermeier et. al., 2020). Alle in dieser Übersicht enthaltenen Studien konzentrierten sich jedoch auf Migrantinnen und Migranten sowie Vertriebene, die aufgrund ihrer Lebens- und Arbeitsbedingungen ein höheres Infektionsrisiko hatten (ebd.). Eine weitere Überprüfung von Peer-Review-Literatur, nationalen Datensätzen und Sekundärliteratur von Hayward et. al. (2020) zeigt auch, dass Migrantinnen und Migranten in Ländern mit hohem Einkommen aufgrund von COVID-19 ein erhöhtes Infektions- und Todesrisiko haben. Zusätzlich zu den Lebens- und Arbeitsbedingungen von Migrantinnen und Migranten führt die Studie diese überproportionale Repräsentanz von Migrantinnen und Migranten auf einen eingeschränkten Zugang zur Gesundheitsversorgung zurück (ebd.) (siehe Abschnitt zur Migrationspolitik). Obwohl die COVID-19 Inzidenzraten bei Migrantinnen und Migranten in mehreren Ländern höher sind, ist der Vergleich der Daten aufgrund nationaler Unterschiede in der Demografie und Datenerfassung ebenfalls schwierig (Laczko, 2021).
Arbeitsmigration
Schätzungen zufolge waren im Jahr 2019 169 Millionen Menschen Wanderarbeiterinnen und Wanderarbeiter (ILO, 2021). 24,2 Prozent aller globalen Wanderarbeiter und Wanderarbeiterinnen lebten in Nord-, Süd- und Westeuropa und 22,1 in Nordamerika. Sie repräsentieren daher mehr als 2 von 5 Arbeitskräften in diesen Regionen und gehören zu den ersten, die von Entlassungen, Einschränkungen der Freizügigkeit und Lockdowns betroffen sind. Diese wirken sich auf ihre Lebensgrundlage aus, beispielsweise auf den Verlust ihres Geschäfts. Wie in den vorherigen Abschnitten aufgezeigt wurde, stellen die Lebensbedingungen in überfüllten Wohnungen ein besonderes Risiko für die Verbreitung von COVID-19 unter Wanderarbeiterinnen und Wanderarbeiter dar.
Die Arbeitslosenquoten von Migranten und Migrantinnen sind 2020 in mehr als 75 Prozent aller drei von vier OECD-Ländern deutlich gestiegen (OECD, 2021). Eine Analyse der monatlichen Daten des US Census Bureau zeigt, dass die Zahl der erwerbstätigen Zuwanderer und Zuwandererinnen zwischen Mai und Juli 2021 im Vergleich zum selben Zeitraum in 2019 stärker zurückging als die Zahl der erwerbstätigen in den USA geborenen Erwachsenen (Capps et al., 2021). Es sind nach wie vor keine nach Migrationsstatus aufgeschlüsselten Daten zu Arbeitslosenquoten auf national repräsentativer Ebene verfügbar. Die Datenanalyse, die im Rahmen der Displacement Tracking Matrix (DTM) der IOM durchgeführt wurden, zeigt allerdings, dass die Arbeitslosenquoten von Venezolanern und Venezolanerinnen in Brasilien, Chile, Kolumbien, Ecuador und Peru höher waren als die Arbeitslosenquoten in der Bevölkerung der Zielländer (Chaves-González et al., 2021).Abgesehen von der Arbeitslosigkeit war der Anteil der Arbeitsmigranten und Arbeitsmigrantinnen, die in den OECD-Ländern in Armut leben, obwohl sie erwerbstätig sind, 2017/18 in den südeuropäischen Ländern und den USA am höchsten. Die Armutsquote trotz Erwerbstätigkeit lag 2018 in Spanien und den USA bei 32,1 bzw. 24,8 Prozent, in Italien betrug sie 2017 29,1 Prozent (OECD, 2019).Diese Migranten und Migrantinnen waren während des Höhepunkts der COVID-19-Krise unverhältnismäßig stark betroffen, als die Arbeitslosenquoten der Bürger stiegen, aber die Maßnahmen zur Abmilderung der Auswirkungen Migranten nicht einschlossen.
Migrantinnen und Migranten leisten unabhängig von ihrem Arbeitsplatz wichtige Beiträge zur Bekämpfung der Pandemie, sind jedoch auch einem höheren Risiko ausgesetzt, sich mit dem Virus zu infizieren. Zur Veranschaulichung: Unter den 20 Ländern, die zum 8. März 2021 am stärksten von COVID-19 betroffen waren, zeigen die für 2015/16 verfügbaren internationalen Daten, dass mindestens 7 Länder – die USA, Großbritannien, Frankreich, Spanien, Großbritannien, Italien, Deutschland und die Niederlande – im kritischen Sektor des Gesundheitswesens von im Ausland geborenen Arbeitskräften (OECD, 2019). Am oberen Ende der Skala waren in 2015/2016 33 Prozent der Ärztinnen und Ärzte und 22 Prozent der medizinischen Pflegekräfte in Großbritannien im Ausland geboren worden (ebd.).
Gleichzeitig herrscht auf globaler Ebene seit vielen Jahren ein Mangel an medizinischem Personal, und die Nachfrage nach qualifiziertem Gesundheitspersonal wird durch die aktuelle Pandemie wahrscheinlich noch verstärkt. Insbesondere die Herkunftsländer qualifizierter Migrantinnen und Migranten sind mit Engpässen im Gesundheitssektor konfrontiert, die jedoch nicht nur auf die Abwanderung von Arbeitskräften zurückzuführen sind. In Großbritannien und den Vereinigten Staaten wurden 29 und 25 Prozent der Ärzte im Ausland ausgebildet (OECD, 2020). Sowohl in den USA als auch in Großbritannien wurde im Jahr 2016 die Mehrheit der im Ausland ausgebildeten Ärztinnen und Ärzte in Indien und Pakistan ausgebildet. Darüber hinaus haben in den USA viele der im Ausland ausgebildeten Ärztinnen und Ärzte auf den karibischen Inseln, den Philippinen, in Mexiko und Kanada studiert, während im Vereinigten Königreich von viele praktizierende Ärztinnen und Ärzte in Nigeria, Ägypten, Irland, Griechenland und Südafrika studiert haben (OECD, 2019).
Migrantinnen und Migranten machen einen bedeutenden Anteil der kritischen Sektoren sowie der Sektoren aus, die am stärksten von der Krise betroffen sind: So wurden beispielsweise mehr als 10 Prozent aller Beschäftigten in den Bereichen Dienstleistungen und Einzelhandel in 7 der 20 Länder mit der höchsten Anzahl von COVID-19-Fällen im Ausland geboren. Darüber hinaus zeigen die verfügbaren Daten, dass mehr als 9 Prozent aller Fachkräfte in der Land-, Forst- und Fischereiwirtschaft in 5 dieser Länder im Ausland geboren wurden (Analyse des GMDAC auf der Grundlage von OECD DIOC, 2015/16). Im Durchschnitt waren 13 Prozent aller systemrelevanten Arbeitskräfte in der Europäischen Union (EU) Migrantinnen und Migranten aus Nicht-EU-Ländern (Fasani und Mazza, 2020). Im Jahr 2017 hatten die Vereinigten Staaten 161 583 ausländische Beschäftigte mit Saisonarbeitsgenehmigungen angeworben (OECD, 2019). In der EU werden Saisonarbeitskräfte oft zahlenmäßig zu gering erfasst. In den Vereinigten Staaten arbeiten, geschätzt nach Daten aus dem Jahr 2018 des US-Census Bureau, 69 Prozent aller Migrantinnen und Migranten in systemrelevanten Berufen (Center for Migration Studies, 2020, basierend auf Daten des US Census Bureau aus 2018) In den meisten der von der Krise stark betroffenen OECD-Länder stellen Frauen circa zwischen drei und fünf von sieben der im Ausland geborenen Arbeitnehmerinnen in den Sektoren Dienstleistungen und Verkauf (GMDAC-Analyse auf der Grundlage von OECD DIOC, 2015/16). Die Lockdowns in vielen Ländern können unverhältnismäßige Auswirkungen auf den sozioökonomischen Status von Migrantinnen haben, die in diesen Sektoren unter allen Arbeitsmigranten und -migrantinnen überrepräsentiert sind.
Land |
Anteil der im Ausland geborenen Arbeitskräfte an der Gesamtzahl der Arbeitskräfte in Dienstleistungen und Einzelhandel (%), 2015/16 |
Anteil der Frauen an der Gesamtzahl der im Ausland geborenen Arbeitskräfte in Dienstleistungen und Einzelhandel (%), 2015/16 |
Anteil der im Ausland geborenen Arbeitskräfte an der Gesamtzahl der Arbeitskräfte in der Land-, Forst- und Fischereiwirtschaft (%), 2015/16 |
Anteil der Frauen an der Gesamtzahl der im Ausland geborenen Arbeitskräfte in der Land-, Forst- und Fischereiwirtschaft (%), 2015/16 |
Vereinigte Staatena |
23.3 |
78.8 |
46.3 |
27.2 |
Spanien |
19.5 |
58.9 |
11.3 |
5.3 |
Italien |
19.0 |
72.3 |
11.0 |
16.8 |
Deutschland |
18.4 |
58.8 |
9.6 |
11.7 |
Frankreich |
13.8 |
59.5 |
6.7 |
26.1 |
Vereinigtes Königreichb |
13.8 |
11.0 |
16.8 |
78.5 |
Niederlande |
10.5 |
60.9 |
3.2 |
1.4 |
Polenb |
0.9 |
42.2 |
0.4 |
52.3 |
Mexikob |
0.6 |
41.5 |
0.3 |
11.3 |
a Berufsbezogene Daten für die Vereinigten Staaten sind mit US-SOC-Codes kodiert und daher nicht direkt vergleichbar mit den Daten für die anderen Länder in der vorstehenden Tabelle, die mit ISCO-08-Codes kodiert sind.Quelle: Analyse der GMDAC auf der Grundlage von OECD DIOC, 2015/16
b Da die Daten nach im Ausland geborenen, im Inland geborenen und Personen mit unbekanntem Geburtsort aufgeschlüsselt sind, könnten die hier angegebenen Prozentsätze zu niedrig angesetzt sein.
Im Jahr 2013 gab es weltweit schätzungsweise 11,5 Millionen als Hausangestellte arbeitende Migrantinnen und Migranten, von denen etwa 8,5 Millionen weiblich waren (ILO, 2015). In Zeiten von COVID-19 können ihre Arbeitgeber infiziert sein und die Krankheit weitergeben, wodurch die Arbeitskraft ihr Einkommen verliert, da die Arbeitserlaubnis häufig an die Arbeitgeberin oder den Arbeitgeber gebunden ist. Bei Grenzschließungen ist eine Rückkehr in die Herkunftsländer oft nicht möglich, so dass als Hausangestellte arbeitende Migrantinnen und Migranten in Zielländern ohne Wohnung und Einkommen festsitzen (vgl. den Abschnitt unten zu Disaggregierung von Daten nach Geschlecht).
Unter den OECD-Ländern war 2017/18 der Anteil der Wanderarbeiterinnen und -arbeiter, die trotz einer Beschäftigung in Armut leben, in den südeuropäischen Ländern und den Vereinigten Staaten am höchsten. Die Armutsquote der Erwerbstätigen in Spanien und den Vereinigten Staaten lag im Jahr 2018 bei 32,1 bzw. 24,8 Prozent und im Jahr 2017 in Italien bei 29,1 Prozent (OECD, 2019b). Diese Migrantinnen und Migranten können während der COVID-19-Krise überproportional betroffen sein, wenn auch die Arbeitslosenquote der Bürgerinnen und Bürger steigt, die Maßnahmen zur Milderung der Auswirkungen jedoch keine Migrantinnen und Migranten einschließen.
Geldtransfers von Migrantinnen und Migranten
Schätzungsweise waren im Jahr 2020 und 2021 36 Prozent aller eingehenden Geldtransfers weltweit in den 20 Ländern mit der höchsten Anzahl bestätigter COVID-19-Fälle zum 8. März 2022 zu verzeichnen (Analyse des GMDAC auf der Grundlage von Weltbank,2021). Weltweit gehörten 10 der 20 am stärksten von COVID-19 betroffenen Länder – die USA, Russische Föderation,Großbritannien, Frankreich, Italien, Deutschland, Japan, die Niederlande, Polen, und die Repulik Korea – zu den 20 Ländern, aus denen im Jahr 2020 die höchsten Geldtransfers erfolgten. Die Geldtransfers aus diesen 10 Ländern machten mehr als 28 Prozent aller weltweiten Geldtransfers im Jahr 2020 aus (ebd.).
Vor Beginn der COVID-19-Krise hatte die Weltbank (2019) prognostiziert, dass bis Ende 2020 574 Milliarden. USD in Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommen überwiesen werden, aber der Verlust von Arbeitsplätzen und die Schwierigkeit, während der Betriebsstillstände Überweisungen zu tätigen, werden die Empfänger, die für ihre finanzielle Stabilität auf diese Überweisungen angewiesen sind, erheblich beeinträchtigen. Im April 2020 schätzten Ratha et al. (2020a), dass die Rücküberweisungen in Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommen (LMICs) im Jahr 2020 auf 445 Milliarden USD fallen werden, was einem Rückgang von 20 Prozent gegenüber 2019 entspricht. Im Oktober 2020 korrigierten Ratha et al. (2020b) ihren prognostizierten Rückgang in LNMEs auf 508 Milliarden.USD im Jahr 2020 und einen weiteren Rückgang auf 470 Milliarden USD im Jahr 2021. Die neuesten Daten zeigen jedoch, dass die Überweisungsströme in die LNMEs nur um 1,7 Prozent auf 549 Milliarden. USD zurückgingen und damit die prognostizierten Rückgänge, die die stärksten in der jüngeren Geschichte gewesen wären, nicht erreichten (Ratha et. al, 2021). Jährliche Prognosen für 2021 gehen davon aus, dass sich die Überweisungsströme in die LNMEs erholen und um 7,3 Prozent auf 589 Milliarden USD ansteigen werden (ebd.).
Die Öl-produzierenden Länder im Golf-Kooperationsrat (Gulf Cooperation Council, GCC) sind ein wichtiges Ziel für Migrantinnen und Migranten aus Südasien und Ostafrika. Da viele internationale Wanderarbeiterinnen und -arbeiter aus den Staaten des GCC in ihre Herkunftsländer zurückgekehrt sind(siehe Abschnitt unten zu Rückkehrmigration), sind Geldtransfers an ihre Familien nicht mehr möglich. Weltweit ist jede neunte Person abhängig von internationalen Geldtransfers, die von Wanderarbeiterinnen und Wanderarbeitern verschickt werden. Daher wirkt sich COVID-19 auf die Entwicklung der Familien und Gemeinschaften von Migrantinnen und Migranten in Bezug auf ihre mithilfe der Geldtransfers unterstützte Ernährung, Gesundheit, Bildung und Einkommen aus, wobei die Möglichkeit besteht, dass die bei mehreren der nachhaltigen Entwicklungsziele der UN erzielten Fortschritte wieder zunichte gemacht werden. Es ist jedoch zu beachten, dass es sich bei den Geldtransfers um private Mittel handelt, die offizielle Entwicklungshilfe und andere öffentliche Ausgaben nicht ersetzen können.
Aktuelle Daten aus Ländern, die zu den größten Empfängern von Geldtransfers gehören, suggerieren einen anderen Trend. Nach einem anfänglichen Einbruch in der ersten Jahreshälfte (vor allem im März und April 2020), scheint es, dass die Geldtransfers in mehreren Ländern sich wieder erholt haben und auf dem Stand vor COVID-19 sind. Pakistan zum Beispiel, wo Geldtransfers für fast 8 Prozent des BIP in 2019 verantwortlich waren, sah im Monat Juli 2020 ein historisches Hoch (State Bank of Pakistan, 2020). In einigen Ländern, wie in Mexiko und Nepal, sind die monatlichen Geldtransfers im zweiten, dritten oder vierten Quartal 2020 im Vergleich zum gleichen Zeitraum im Vorjahr stark angestiegen, was aber auch an Wechselkursschwankungen liegen kann. Schwellenländer hatten im Februar und März 2020 mit erheblichen Währungsabwertungen zu kämpfen, während die Währungen in Industrieländern generell stabil blieben. Dies könnte der Grund dafür sein, dass die Umrechnung der üblichen Geldtransfer-Beträge in den Empfängerländern höher ausgefallen ist. Währungsschwankungen gepaart mit den Auswirkungen von strikten Lockdowns haben eine wichtige Rolle gespielt im Einbruch und der Erholung von Geldtransfers. Das finanzielle Verhalten von Migrantinnen und Migranten in Krisenzeiten könnte auch ein Faktor sein, da Migrantinnen und Migranten Ersparnisse in ihre Herkunftsländer geschickt haben, um ihre Familien in Ländern zu unterstützten, die stark von der Pandemie getroffen wurden. Andersherum haben auch Familien Migrantinnen und Migranten in stark von COVID-19 betroffenen Ländern unterstützt. Darüber hinaus haben Migrantinnen und Migranten, die in ihre Herkunftsländer zurückgekehrt sind, ihre Ersparnisse möglicherweise vor ihrer Rückkehr über offizielle Kanäle überwiesen.
Gestrandete Migrantinnen und Migranten und Rückkehr
Durch Reisebeschränkungen und weltweiten Grenzschließungen saßen viele Migrantinnen und Migranten, saisonale Arbeitskräfte und internationale Studierende fest und konnten nicht in ihre Herkunftsländer zurückkehren. Zum 13. Juli 2020 hatte IOMs Rückkehr Task Force mindestens 3 Millionen gestrandete Migranntinnen und Migranten identifiziert IOM, 2020). Von diesen waren mehr als 1,2 Millionen Migrantinnen und Migranten allein gestrandet im Nahen Ost und Nord Afrika (ebd.).
Da Migrantinnen und Migranten ihren Arbeitsplatz verlieren und aufgrund ihrer Lebensbedingungen in überfüllten Wohnungen einem höheren Infektionsrisiko ausgesetzt sind, kehren viele Arbeitskräfte in ihre Herkunftsländer zurück, häufig mithilfe bilateraler Verhandlungen, die eine vorübergehende Öffnung der Grenzen für die Rückkehr gestrandeter Migrantinnen und Migranten ermöglichen. Weltweit ist Indien das Herkunftsland der meisten Auswandererinnen und Auswanderer (UN DESA, 2020). Zum 30. April 2021 hatten Rückführungsaktionen in Indien nahezu 6,1 Millionen gestrandete Wanderarbeiterinnen und -arbeiter aus der ganzen Welt zurückgebracht (Indian Ministry of External Affairs, 2021). Zwischen dem 1. März 2020 und dem 19. August 2021 kehrten mehr als 1,6 Millionen Afghaninnen und Afghanen ohne Papiere aus dem Iran und Pakistan zurück. Von diesen sind
117.145 Afghanen allein in den ersten zwei Märzwochen 2020 zurückgekehrt (IOM, 2021d). Zum 30. Oktober 2020 sind mehr als 136 000 Venezolanerinnen und Venezolaner in ihr Heimatland aus anderen Regionen zurückgekehrt (IOM und UN OCHA, 2020). Zum Höhepunkt sind täglich 600 venezolanische Rückkehrerinnen und Rückkehrer aus Kolumbien zurückgekommen und 88 Venezolanerinnen und Venezolaner von Brasilien über die Grenze in Pacaraima (Koordinierungsplattform für Flüchtlinge und Migranten aus Venezuela, 2020). Zwischen dem 1. April 2020 und 25. Februar 2021 hatte die IOM mehr als 54 000 Migrantinnen und Migranten unterstützt, die aus Saudi-Arabien nach Äthiopien und in andere afrikanische Länder zurückgekehrt waren und unter Quarantäne gestellt wurden (IOM, 2021e). Darüber hinaus hat die IOM im Rahmen der COVID-19-Rückkehr-Taskforce im Jahr 2020 1.100 Migranten bei der Rückkehr in ihre Herkunftsländer unterstützt (IOM, 2021f).
Die Daten, die von IOM’s DTM zwischen dem 13. März 2020 und dem 7. März 2022gesammelt wurden, zeigen, dass die Beschränkungen der internen Mobilität in Ländern auf der ganzen Welt Auswirkungen auf reguläre Reisende und Staatsangehörige in 60 Prozent bzw. 61 Prozent der bewerteten internen Transitpunkte hatten (2021g).. Unter 33.393 Befragten in einer Studie des Mixed Migration Centers (2021) gaben fast 28 Prozent der Befragten an, dass die Pandemie das Überschreiten von Grenzen erschwert habe, und weitere 25 Prozent gaben an, dass die interne Mobilität beeinträchtigt wurde. Da die Binnenmigrantinnen und -migranten durch die Lockdowns ihre Arbeit und ihre Wohnung verloren, kehrten Tausende von Arbeitskräften des informellen Sektors aus Städten wie Neu-Delhi in die für sie sichereren Heimatstädte zurück (UN, 2020).
Solche Abwanderungen von Wanderarbeiterinnen und -arbeiter – sowohl internationale als auch Binnenmigrantinnen und -migranten – haben zwei wesentliche Auswirkungen auf die Herkunftsländer und -orte: erhöhte gesundheitliche Gefährdung (Zenner und Wickramage, 2020) und sozioökonomischer Druck. Zusätzlich zu den direkten wirtschaftlichen Auswirkungen rückläufiger Geldtransfers (siehe vorstehender Abschnitt) zeigen Studien, dass internationale Geldtransfers von Migrantinnen und Migranten an ihre Familien dazu beitragen, dass Kinderarbeit zurückgeht und die Kinder in der Schule bleiben (IAO-UNICEF, 2020). Mit dem prognostizierten Rückgang der Geldtransfers in Höhe von 109 Milliarden US-Dollar aufgrund von COVID-19 besteht für mehr Kinder das Risiko, zur Kinderarbeit gezwungen zu werden.
Umgekehrt betrifft die Rückkehr auch die ehemaligen Zielländer, die in wesentlichen Bereichen von Arbeitsmigration abhängig sind (siehe Abschnitt „Arbeitsmigration“). Migrantinnen und Migranten machten Mitte 2020 schätzungsweise 19 Prozent der Bevölkerung in Deutschland, 15 Prozent in den USA sowieSpanien, 14 Prozent in der Niederlande sowie Großbritannien und13 Prozent in Frankreich aus(alle gehörten zu den 20 Ländern mit der höchsten Anzahl an kumulierten COVID-19-Fällen am 8. März 2022) (UN DESA, 2020), wo sie auch in wesentlichen Sektoren wie im Gesundheitswesen und bei den Dienstleistungen überrepräsentiert sind.
Urbanisierung
Es wird geschätzt, dass etwa ein Fünftel der internationalen Migrantinnen und Migranten in nur 20 Städten leben – Peking, Berlin, Brüssel, Buenos Aires, Chicago, Hongkong SAR, China, London, Los Angeles, Madrid, Moskau, New York, Paris, Seoul, Shanghai, Singapur, Sydney, Tokio, Toronto, Wien und Washington DC (IOM, 2015). In 18 dieser Städte machten internationale Migrantinnen und Migranten rund 20 Prozent der Gesamtbevölkerung aus (ebd.). Der Anteil der im Ausland geborenen Personen an der Gesamtbevölkerung liegt in einigen Städten weit über dem globalen Durchschnitt (rund 3,4 % im Jahr 2015) (IOM, 2015). Dubai wies eine ausländische Bevölkerung von fast 83 Prozent auf, während es in Brüssel 62 Prozent, in Toronto 46 Prozent und in Melbourne 35 Prozent sind, um nur einige Beispiele zu nennen (ebd.).
Einkommensunterschiede und soziale Ausgrenzung beeinflussen die lokalen Verbreitungsmuster von COVID-19. So wurden zwar in ganz New York positive Fälle verzeichnet, die meisten bestätigten Fälle fanden sich jedoch in Gebieten mit dem niedrigsten Medianeinkommen, obwohl Tests nur begrenzt lokal verfügbar waren. Dies ist wahrscheinlich auf strukturelle Faktoren zurückzuführen, die mit den Lebens- und Arbeitsbedingungen zusammenhängen und die Menschen daran hindern, grundlegende Präventions- und Eindämmungsmaßnahmen umzusetzen. Im Jahr 2018 waren mehr als 35 Prozent der Bevölkerung New Yorks im Ausland geboren worden, und öffentlich zugängliche Daten des New York City Department of Health and Mental Hygiene zeigen, dass Migrantinnen und Migranten in allen bis auf 1 der 10 am stärksten von COVID betroffenen Gebiete in der Stadt überrepräsentiert sind (gemessen an positiven Fällen pro 1 000 Einwohner).
Zwangsmigration und Vertreibung nach Konflikten und Katastrophen
COVID-19 und die damit verbundenen globalen Mobilitätsbeschränkungen haben auch vertriebene Personen betroffen. Das Schätzungsmodell des UNHCR zeigt im Vergleich zu den Prognosen, dass im Jahr 2020 etwa 1,5 Millionen weniger Flüchtlinge und Asylsuchende ankommen als ohne COVID-19 zu erwarten gewesen wären (UNHCR, 2021). Weltweit lag die Zahl der im ersten Halbjahr 2020 eingereichten neuen Asylanträge um 32 Prozent unter der Zahl im gleichen Zeitraum des Jahres 2019 (OECD et al., 2020). In den OECD-Ländern sank die Zahl der neuen Asylanträge im Jahr 2020 um 31 Prozent im Vergleich zu 2019 (OECD, 2021). Die Europäische Union verzeichnete in den ersten zehn Monaten des Jahres 2020 einen Rückgang der erstmaligen Asylanträge um nahezu 34 Prozent gegenüber dem gleichen Zeitraum des Jahres 2019 (Eurostat, 2021a). Die Zahl der erstmaligen Asylanträge war jedoch im zweiten und dritten Quartal 2021 im Vergleich zum selben Zeitraum im Jahr 2020 um 48 Prozent bzw. 38 Prozent gestiegen (Eurostat, 2021b).
In den 20 Ländern, die am stärksten von COVID-19 betroffen sind, lebten am 8. März 2022 etwa 7,4 Millionen Geflüchtete, das entspricht 35 Prozent aller Geflüchteten weltweit Ende 2021 (GMDAC Analyse, basierend auf WHO, 2022 and UNHCR, 2021a). Die Türkei, Deutschland, die Islamische Republik Iran, Frankreich, die Vereinigten Staaten und Irak gehörten nach Angaben des UNHCR aus Mitte 2021 (ebd.) zu den zwanzig Ländern, in denen die meisten Geflüchteten aufgenommen wurden. Darüber hinaus waren die Vereinigten Staaten von Amerika, Peru, die Türkei, Deutschland, Brasilien, Spanien, Mexiko, und Großbritannien unter den zehn Ländern mit der höchsten Anzahl an anhängigen Asylanträgen Mitte 2021 (ebd.). Obwohl die Zahl der Asylanträge weltweit um eine Million gesunken ist, haben im Jahr 2020 fast 21.000 unbegleitete oder von ihren Eltern getrennte Kinder einen Asylantrag gestellt (UNHCR, 2021b). Zum 31. Dezember 2020 hatten mehr als 270 000 Venezolanerinnen und Venezolaner Asylanträge in den USA, Brasilien, Kolumbien, Spanien, Mexiko und Argentinien gestellt (ebd.)
Tod und Verschwinden von Migrantinnen und Migranten
Trotz der durch die COVID-19-Pandemie verursachten Mobilitätseinschränkungen begeben sich Migranten weiterhin auf heimliche Reisen, fliehen vor Gewalt und Armut und versuchen, ihr Leben zu verbessern. COVID-19-Reaktionen haben das Risiko und die Unsicherheit dieser Reisen erhöht und die Menschen in gefährlichere Situationen gebracht, in denen möglicherweise keine humanitäre Unterstützung und Rettung verfügbar ist. Laut Daten aus dem Missing Migrants Project von IOM sind zwischen dem 1. März 2020 und 28. Februar 2021 mehr als 3 700 Menschen bei der Migration ums Leben gekommen. Nicht in dieser Summe enthalten sind die Tausenden von Todesfällen im Zusammenhang mit Covid-19-Fällen bei Wanderarbeitnehmerinnen und Wanderarbeitern sowie Todesfälle aufgrund von Mobilitätseinschränkungen und Lockdowns.
Die humanitäre Krise mit Tausenden von Todesfällen auf Seemigrationsrouten nach Europa dauert trotz der COVID-19-Pandemie an. Im Zeitraum von März 2020 bis Februar 2021 kamen im Mittelmeer und im Atlantik mindestens 2269 Menschen ums Leben, bei dem Versuch nach Italien, Malta, Griechenland, Spanien und auf die Kanarischen Inseln zu gelangen. Das sind mehr Todesfälle als im gleichen Zeitraum 2019/2020, als mindestens 2110 Menschen ihr Leben verloren. Zudem gibt es eine anhaltende Krise von „unsichtbaren Schiffswracks“ auf Seewegen nach Europa – das sind Fälle, in denen ein Boot als vermisst gemeldet wird, aber keine Überlebenden gefunden werden und daher sehr schwer zu überprüfen sind. Im Jahr 2020 gab es mindestens 19 solcher Fälle.
Das zentrale Mittelmeer ist nach wie vor die gefährlichste irreguläre Migrationsroute weltweit. Zwischen März 2020 und Februar 2021 sind auf dieser Route 1053 Menschen gestorben. In diesem Zeitraum versuchten mindestens 59 134 Menschen, mit dem Boot von Nordafrika nach Italien und Malta zu überqueren. Das sind 91 Prozent mehr als im Zeitraum März 2019 und Februar 2020 (30 841). Politische Maßnahmen als Reaktion auf COVID-19, wie die Schließung von Häfen und weniger Such- und Rettungsaktionen im zentralen Mittelmeerraum, wirken sich auf die genaue Datenerfassung aus. Auf Seewegen nach Europa gibt es eine anhaltende Krise „unsichtbarer Schiffswracks“ - Fälle, in denen ein Boot als vermisst gemeldet wird, aber keine Überlebenden gefunden werden, was es sehr schwierig macht diese zu verifizieren. Im Jahr 2020 gab es mindestens vierzehn solcher Fälle.
Zwischen September und Januar 2021 haben die Überfahrten auf der Westafrika-Route von der Küste Senegals, Mauretaniens und Marokkos zu den spanischen Kanarischen Inseln stetig zugenommen. Allein in diesen fünf Monaten kamen mindestens 21 167 Menschen auf die Kanarischen Inseln, verglichen mit durchschnittlich 2456 in den letzten fünf Monaten des Jahres 2020. Im Februar 2021 kamen nur 264 Menschen auf den Kanarischen Inseln an. Diese Zahlen liegen immer noch weit unter einem Höchststand von 2006, als 32 000 Migrantinnen und Migranten mit dem Boot von den Inseln auf die Inseln kamen Küste Afrikas. Aufgrund des Traumas und der Todesgefahr, die diese gefährliche Überfahrt mit sich bringt, ist sie dennoch besorgniserregend. Zwischen März 2020 und Februar 2021 verzeichnete das Missing Migrants Project den Tod oder das Verschwinden von mindestens 843 Menschen auf dem Migrationsweg zu den Kanarischen Inseln. Dies ist bereits mehr als die Zahl der Todesfälle zwischen März 2019 und Februar 2020 (238). Die Situation ist während COVID-19 besonders besorgniserregend, wenn mehr Sorgfalt erforderlich ist, um eine Überfüllung zu verhindern und sichere Aufnahmebedingungen zu gewährleisten, und wenn Gesundheitsprotokolle und -antworten für alle ohne Diskriminierung angewendet werden.
In der Zwischenzeit gingen die versuchten Überfahrten (einschließlich Ankünfte und Abfangen) von der Türkei über die Landgrenze und die Migrationsroute zum östlichen Mittelmeer nach Griechenland von März bis Dezember 2020 um 82 Prozent gegenüber dem gleichen Zeitraum im Jahr 2019 zurück Die Türkei sowie die verstärkte Patrouille auf griechischer Seite erklären wahrscheinlich diese Verringerung der versuchten Überfahrten in der Ägäis. Trotz des starken Mobilitätsrückgangs auf dieser Migrationsroute sind weiterhin Todesfälle auf dieser Route zu verzeichnen - es ist bekannt, dass zwischen März 2020 und Februar 2021 mindestens 70 Migrantinnen und Migranten gestorben sind.
Aufgrund der Covid-19-Beschränkungen in Südostasien sind Hunderte von Rohingya-Migrantinnen und Migranten, die versuchen, Myanmar zu verlassen, auf See gestrandet, da die Staaten ihnen aus Angst vor Infektionen die Ausschiffung verweigern. Während es schwierig ist, die tatsächliche Zahl der Todesopfer auf diesen gestrandeten Booten zu ermitteln, hat eine solche Strandung im April 2020 schätzungsweise 70 Tote hinterlassen, nachdem dem Boot die Einreise in ein Land für mehr als zwei Monate verweigert wurde. Eine andere ähnliche Situation im Februar 2021 ließ mindestens 8 Rohingya-Migrantinnen und Migranten sterben und 1 Person vermisst. Während der Krise in der Bucht von Bengalen 2015, in der Rohingya-Boote ähnlich gestrandet waren, dokumentierte IOM mehr als 500 Todesfälle auf See.
Nach Alter
In den nachhaltigen Entwicklungszielen der Vereinten Nationen wird gefordert, dass niemand zurückgelassen wird, auch nicht Migrantinnen und Migranten. Unterschiedliche Altersgruppen sind sowohl als Migrantinnen und Migranten als auch im Hinblick auf den Teil eines bestimmten Lebensabschnitts auf unterschiedliche Weise gefährdet. Weltweit sind rund 12 Prozent aller internationalen Migrantinnen und Migranten 65 Jahre und älter. In 13 der 20 Länder mit der am 8. März 2022 höchsten Anzahl bestätigter COVID-19-Fälle haben Personen im Alter von 65 Jahren und älter im Vergleich zu ihrem Anteil an der Gesamtbevölkerung jedoch einen geringeren Anteil an der Anzahl der Einwanderinnen und Einwanderer. Indien, Brasilien, Großbritannien, Frankreich, die Russische Förderation, Deutschland, Argentinien, Polen und die Ukraine sind die einzigen Länder, in denen dies eine Ausnahme darstellt. In 15 der 20 Länder mit der höchsten Anzahl bestätigter COVID-19-Fälle sind schätzungsweise 67 bis 84 Prozent der Migrantinnen und Migranten im erwerbsfähigen Alter (zwischen 20 und 64 Jahren) (GMDAC-Analyse, basieren auf Daten der WHO, 2022 und UN DESA, 2020). Migrantinnen und Migrantensind mit größerer Wahrscheinlichkeit entweder jung oder im erwerbsfähigen Alter und sind Teil der Reaktion auf die Pandemie, da sie in systemrelevanten Berufen arbeiten. Sie sind zudem gefährdet, an COVID-19 zu erkranken, wenn sie in Sektoren arbeiten, in denen Heimarbeit nicht möglich ist (detaillierte Analyse siehe folgenden Abschnitt zur Arbeitsmigration).
Migrantinnen und Migranten in Ländern mit den höchsten kumulativen COVID-19 Fallzahlen, Stand 8. März 2022
Land |
Anteil der Migrantinnen und Migranten an der Bevölkerung (%), Mitte 2020 |
Anteil der Migrantinnen und Migranten im erwerbsfähigen Alter (20 - 64 Jahre) am Bestand an Migrantinnen und Migranten (%), Mitte 2020 |
Anteil der Personen im Alter von 65 Jahren und älter am Bestand an Migrantinnen und Migranten (%), Mitte 2020 |
Anteil der Personen im Alter von 65 Jahren und älter an der Bevölkerung (%), Mitte 2020 |
Vereinigte Staaten von Amerika |
15.3 |
77.2 |
14.5 |
16.6 |
Indien |
0.4 |
70.7 |
21.6 |
6.6 |
Brasilien |
0.5 |
59.3 |
15.7 |
9.6 |
Frankreich |
13.1 |
67.6 |
22.6 |
20.8 |
Großbritannien |
13.8 |
77.4 |
11.0 |
18.7 |
Russische Föderation |
8.0 |
76.7 |
16.9 |
15.5 |
Deutschland |
18.8 |
70.2 |
21.4 |
21.7 |
Türkei |
7.2 |
70.9 |
5.9 |
9.0 |
Italien |
10.6 |
84.4 |
7.1 |
23.3 |
Spanien |
14.6 |
80.7 |
9.0 |
20.0 |
Argentinien |
5.0 |
68.4 |
14.2 |
11.4 |
Iran (Islamische Republik) |
3.3 |
51.4 |
2.5 |
6.6 |
Niederlande |
13.8 |
77.2 |
12.8 |
20.0 |
Kolumbien |
3.7 |
57.6 |
2.6 |
9.1 |
Indonesien |
0.1 |
78.5 |
5.0 |
6.3 |
Polen |
2.2 |
36.9 |
40.8 |
18.7 |
Mexiko |
0.9 |
34.8 |
4.5 |
7.6 |
Japan |
2.2 |
80.6 |
8.2 |
28.4 |
Ukraine |
11.4 |
72.9 |
20.3 |
16.9 |
Republik Korea |
3.4 |
80.4 |
3.8 |
15.8 |
Globaler Durchschnitt |
3.6 |
73.2 |
12.2 |
10.0 |
Quelle: GMDAC-Analyse basierend auf Daten von WHO, 2022 und UN DESA, 2020
Nach Geschlecht
Frauen machen weltweit etwas weniger als die Hälfte, 135 Millionen oder 48,1 Prozent, des internationalen Bestands an Migrantinnen und Migranten Mitte 2020 aus (UN DESA, 2020). Es migrieren jedoch mehr Frauen eigenständig, auf der Suche nach Arbeit, aus Bildungsgründen sowie als weibliches Familienoberhaupt. Trotz dieser Fortschritte sind Migrantinnen möglicherweise immer noch einer stärkeren Diskriminierung ausgesetzt und im Vergleich zu männlichen Migranten stärker durch Misshandlungen gefährdet. Dennoch sind auch Männer während des Migrationsprozesses Gefährdungen ausgesetzt. Daher können geschlechtsspezifische Daten zur Migration eine größere Gleichstellung fördern und sind der Schlüssel zur Vermeidung verschärfter Auswirkungen für benachteiligte Gruppen. Auch die Betreuungsarbeit ruht unverhältnismäßig stark auf Frauen, unter anderem die Betreuung der von COVID-19 Betroffenen und, angesichts der Schließung von Kindertagesstätten und Schulen, auch der Kinder. Als Beschäftigte im Gesundheitswesen können Migrantinnen eine zusätzliche Belastung durch ihre Arbeit erfahren, da sie sich zu Hause um Familienmitglieder kümmern müssen und gleichzeitig möglicherweise einer Stigmatisierung ausgesetzt sind, wenn sie mit Patienten in Kontakt kommen, die mit COVID-19 infiziert sind. Im Allgemeinen hat die Pandemie zu einer Zunahme geschlechtsspezifischer Gewalt geführt (CARE und IRC, 2020).
Der höhere Anteil von Männern im internationalen Bestand an Migrantinnen und Migranten spiegelt sich auch im Anteil der männlichen Arbeitsmigranten wider. Schätzungen zufolge waren im Jahr 2017 58,4 Prozent der Wanderarbeiterinnen und Wanderarbeiter Männer und 41,6 Prozent Frauen (ILO, 2018). Mit 63,5 Prozent lag die Erwerbsquote der Migrantinnen im Jahr 2017 deutlich über der Erwerbsquote von 48,1 Prozent bei Nicht-Migrantinnen. Wanderarbeiterinnen sind daher in der gegenwärtigen globalen Gesundheitskrise möglicherweise stärker von Arbeitslosigkeit betroffen als weibliche Staatsangehörige der betreffenden Länder und können daher sowohl als Migrantinnen als auch als Frauen in ihrem Gastland eine doppelte Diskriminierung erfahren.
Migrationspolitik
Zugang zum Gesundheitswesen
Eine Analyse der Bewertungen der Indikatoren der Migrationspolitik (Migration Governance Indicators, MGI), die zwischen 2018 und 2020, also vor der COVID-19-Pandemie, durchgeführt wurden, ergab, dass Länder Migrantinnen und Migranten je nach Migrationsstatus einen unterschiedlichen Zugang zu staatlich finanzierten Gesundheitsdiensten gewähren. Die Analyse, die 51 Länder umfasste, zeigte, dass ein Drittel dieser Länder Migrantinnen und Migranten unabhängig von ihrem Migrationsstatus den gleichen Zugang zur Gesundheitsversorgung gewähren wie ihren Staatsbürgerinnen und Bürgern. In der Hälfte der untersuchten Länder hängt der gleichberechtigte Zugang zur Gesundheitsversorgung vom Migrationsstatus ab. Darüber hinaus gewähren 12 Prozent der Länder Migrantinnen und Migranten nur Zugang zu einigen Gesundheitsdiensten, beispielsweise zur Notfallversorgung (IOM, 2019 sowie Milan und Cunnoosamy, 2020). In den meisten Fällen gibt es keine Einschränkungen für den Zugang zu privater Gesundheitsversorgung oder privater Krankenversicherung.
Die Analyse migrationsbezogener Daten, die im Rahmen der Zwölften Untersuchung der Vereinten Nationen zum Thema Bevölkerung und Entwicklung unter den Regierungen durchgeführt wurde – ein weiterer Versuch, Daten zum nachhaltigen Entwicklungsziel 10.7.2 zu erheben – zeigt ebenfalls, dass der Zugang von Migrantinnen und Migranten zu Gesundheitsdiensten vom Migrationsstatus abhängen kann. Die Untersuchung, bei der zwischen Ende 2018 und Anfang 2019 Daten aus 111 Ländern erhoben wurden, ergab, dass mehr als drei Viertel (86 Prozent) der Regierungen allen Ausländern unabhängig von ihrem Migrationsstatus eine grundlegende Versorgung und eine Notfallversorgung bieten, während 8 Prozent der Länder angeben, dass sie solche Dienstleistungen nur Ausländern mit regulärem Aufenthaltsstatus gewähren.
Einbeziehung von Migrantinnen und Migranten in Krisenpläne
Obwohl einige Länder angeben, Migranten und Migrantinnen in ihre offiziellen Nationalen Impfpläne (NIPs) aufzunehmen, hat die IOM beobachtet, dass diese Pläne in der Praxis nicht immer umgesetzt werden. Mit Stand vom 17. Mai 2021 gaben 33 Prozent der 152 erfassten Länder an, irreguläre Migranten in ihre NIPs aufzunehmen, während nur 28 Prozent der beobachteten 168 Länder diese in der Praxis tatsächlich berücksichtigten. In ähnlicher Weise gaben 56 Prozent der 152 Länder an, Flüchtlinge und Asylsuchende in ihre NIPs aufzunehmen, während nur 45 Prozent der 168 beobachteten Länder sie tatsächlich in die Umsetzung dieser Kampagnen vor Ort einbezogen (IOM, 2021b). Trotz der anhaltenden Unklarheit über die NDVPs in Bezug auf den Zugang von Migranten zu Impfstoffen zeigen neuere Daten mit Stand vom 8. Dezember 2021, dass in der Praxis 83 Prozent der beobachteten 180 Länder regulären Migranten Zugang zu Impfstoffen gewähren, aber nur 46 Prozent Migranten in irregulären Situationen und etwas mehr als 73 Prozent Flüchtlingen und Asylsuchenden (IOM, 2021c).
Stärken und Schwächen von Daten
Detaillierte Analysen der Stärken und Schwächen der hervorgehobenen Datenquellen finden Sie auf den Themenseiten unter:
- Internationaler Bestand an Migrantinnen und Migranten und Migrationsströme
- Daten über Migration und Gesundheit
- Arbeitsmigration
- Geldtransfers von Migrantinnen und Migranten
- Familienmigration
- Auslandsstudierende
- Urbanisierung
- Rückkehr und Migration
- Zwangsmigration und Vertreibung
- Umweltbedingte Migration
- Migrationspolitik und -regierungsführung
Eine detaillierte Methodik der IOM zur Verfolgung der Mobilitätsbeschränkungen finden Sie unter https://migration.iom.int/.
1Die Zahlen zu neuen Fällen weisen länderübergreifende Inkonsistenzen auf und können die tatsächliche Anzahl der COVID-19-Fälle unterschätzen, da die offiziellen Zahlen nur auf getesteten Fällen basieren und die Testkapazitäten sowie die Tests selbst von Land zu Land unterschiedlich sind. Gleiches gilt für die erfassten Todesfälle, die durch COVID-19 verursacht wurden, da in verschiedenen Ländern für die Erfassung der im Zusammenhang mit COVID-19 stehenden Todesfälle unterschiedliche Kriterien angewendet werden.